29. September 2023

Solidarität mit den Menschen in Bergkarabach

Solidarität mit den Menschen in Bergkarabach Antrag der GJ Frankfurt für den BuKo

Wir solidarisieren uns mit den Menschen in Bergkarabach. Der armenische Name lautet Arzach,
aber wir benutzen in diesem Antrag den international üblichen Namen Bergkarabach. Wir
verurteilen den Angriff Aserbaidschans. Für uns ist aber klar: der Angriff steht nicht für sich
allein, sondern ist eingebunden in geopolitische Interessen und Konflikte. Dementsprechend
benötigt es eine internationalistische Analyse und politische Praxis unsererseits, um die
Menschen in Bergkarabach vor Tod, Unterdrückung und Vertreibung zu schützen, sowie uns
hier in der Bundesrepublik mit der migrantisch-armenischen Community zu solidarisieren

Worum geht es jetzt? – Zur aktuellen Situation

Nach einer neunmonatigen Blockade des Latschin-Korridors und der humanitären Krise, die
daraus erfolgte, startete Aserbaidschan am 19.09.2023 einen militärischen Großangriff auf die
Region. Dabei starben mindestens 200 Menschen und über 400 wurden verletzt. Hunderte
werden immer noch vermisst. Zehntausende befinden sich seitdem auf der Flucht. Neben der
Blockade des Latschin-Korridors, der die einzige Verbindung Bergkarabachs mit der Republik
Armenien herstellt, hat das aserbaidschanische Militär weitere Binnenblockaden eingeführt.
Dadurch sind ganze Dörfer und Städte von der Außenwelt abgeschnitten. Humanitäre Hilfe
wird dringend benötigt. Das Rote Kreuz darf vereinzelt Hilfslieferungen in bestimmte Regionen
ausführen. Der Zugang zur medizinischen Versorgung fehlt und macht die Situation umso
schwieriger für die Menschen vor Ort.

Der Alijew-Clan

Der autoritäre Staatschef Aserbaidschans, Ilham Alijew, schürt seit Jahren Hass gegen
Armenierinnen, unterdrückt oppositionelle Kräfte mithilfe eines riesigen Sicherheitsapparates und lässt politische Gegnerinnen verhaften.
Von Nationalismus getrieben, stellt er auch die territoriale Integrität des Nachbarlandes
Armenien infrage. Die armenische Regierung hat die territoriale Integrität Aserbaidschans im
Mai 2023 anerkannt und auch die Region Bergkarabach, die mehrheitlich von Armenier*innen
bewohnt ist, als Teil Aserbaidschans akzeptiert.
Aserbaidschan wird seit nun 50 Jahren mit einer kurzweiligen Unterbrechung vom Alijew-Clan
regiert. Auf der Rangliste der Pressefreiheit 2023 von Reporter ohne Grenzen befindet sich
Aserbaidschan auf Platz 151 von 180. Im Demokratieindex 2022 wird Aserbaidschan auf Platz
134 von 167 eingestuft.
Alijew macht sich den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zunutze. Er stillt den Bedarf
der EU an fossilen Energieträgern und setzt diese als Druckmittel gegen die europäische
Staatengemeinschaft ein. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg lobte Aserbaidschan als
zuverlässigen Partner.

Der Panturkismus – eine transnationalistische Ideologie

Die Armenierinnen befürchten einen neuerlichen militärischen Angriff auch auf das Staatsgebiet der Republik Armenien. Die Ideologie des Panturkismus stellt für die kleine Republik eine ernsthafte Existenzbedrohung dar. Der Panturkismus ist eine nationalistische Ideologie, die die Bestrebung verfolgt, alle Turkvölker (u.a. Türkinnen, Azeris oder
Turkmeninnen) kulturell und geografisch zu vereinen. Dass Armenierinnen Opfer eines osmanischen Genozids wurden, getrieben durch das
jungtürkische Regime im Ersten Weltkrieg, ist bis heute ein rotes Tuch für türkische
Nationalistinnen – die Anerkennung des Genozids an den Armenierinnen wird vom
türkischen Staat geleugnet. Doch die Leugnung des Genozids geht über das türkisch-rechte
Spektrum hinaus, denn auch in nicht-rechten türkisch-migrantischen Kontexten ist die
Anerkennung des Genozids umstritten.

Die Türkei als Komplize

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass Alijew sich von bloßen Aufforderungen internationaler
Partner unbeeindruckt lässt. Ferner wird er durch das NATO-Mitglied Türkei in seinen
bisherigen Bestrebungen unentwegt und tatkräftig unterstützt.
Nach seinem Militäreinsatz ist Aserbaidschan für die Sicherheit und die Einhaltung der Rechte
der Armenier*innen verantwortlich. Aktuell ist die armenische Bevölkerung in der Region
schutzlos. Menschenrechtsorganisationen wie das Lemkin-Institut für Völkermordprävention
oder die Gesellschaft für bedrohte Völker warnen seit 2022 vor einem Genozid. Laut Art II (c)
der UN-Völkermordkonvention liegt der Tatbestand eines Genozids bei einer vorsätzlichen
Auferlegung von Lebensbedingungen vor, die geeignet sind, die körperliche Zerstörung ganz
oder teilweise herbeizuführen.
Bereits am 22. Februar 2023 sowie zuletzt im Juli 2023 forderte der Internationale Gerichtshof
(IGH) Aserbaidschan auf, alle Maßnahmen zu ergreifen, um einen ungehinderten Personen-,
Fahrzeug- und Güterverkehr entlang des Latschin-Korridors in beide Richtungen zu
gewährleisten.

Positionierungen im UN-Sicherheitsrat

In der Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates vom 21. September verurteilten die
Außenministerinnen Deutschlands und Frankreichs die militärische Aggression Aserbaidschans
gegen die Armenier*innen in Bergkarabach und forderten Aserbaidschan dazu auf, die
territoriale Integrität Armeniens zu respektieren. Ferner verlangten sie nach internationalem
Recht Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung Bergkarabachs vonseiten
Aserbaidschans.
Die Republik Armenien ist eine junge postsowjetische Demokratie, die aufgrund der jüngsten
Entwicklungen in Bergkarabach in eine schwere innenpolitische Krise stürzte. Die
Außenministerin Annalena Baerbock forderte, dass die Demokratie in Armenien nicht durch
dritte Staaten unterminiert werden sollte. Die Republik Armenien hat angesichts des russischen
Versagens als Schutzmacht für den Waffenstillstand in Bergkarabach seine bisher engen
Beziehungen zu Russland gelockert und versucht, sich dem Westen anzunähern. Das wiederum
verschlechtert auch die Beziehungen zu Armeniens direktem Nachbarn Iran.

Deutschlands historische Verantwortung

Wir erwähnen mit Nachdruck, dass Deutschland eine besondere historische Verantwortung
gegenüber Armenierinnen trägt. 2016 hat der Bundestag in seiner Resolution zur Anerkennung des Genozids an den osmanischen Christen dies zum Ausdruck gebracht. Während des Ersten Weltkriegs war das Deutsche Kaiserreich militärischer Hauptverbündeter des Osmanischen Reiches und daher besonders umfassend über die Vernichtung der Armenierinnen und anderer
christlicher Bevölkerungsgruppen informiert. Dennoch hat die deutsche Staatsführung den
Genozid damals stillschweigend hingenommen. Der Bundestag bekannte sich in seinen
Resolutionen von 2005 und 2016 ausdrücklich zu seiner historischen Mitverantwortung.

Unsere Forderungen

Damit dennoch ein dauerhafter Frieden ermöglicht werden kann, fordern wir:

  • Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung Bergkarabachs: Aserbaidschan
    muss sich dazu verpflichten Sicherheitsgarantien für die armenische Bevölkerung
    Bergkarabachs nach internationalem Recht zu geben.
  • Die territoriale Integrität Armeniens muss von Aserbaidschan akzeptiert werden. Die
    Türkei als NATO-Mitglied sollte mit dem Säbelrasseln aufhören.
  • Die vollständige Öffnung des Latschin-Korridors für den Personen- und
    Güterverkehr in beide Richtungen!
  • Es bedarf einer entmilitarisierten Zone zwischen Armenien und Aserbaidschan.
  • Eine internationale Beobachtermission soll in die Region entsandt werden, um als
    Drittpartei die Rolle einer Vermittlung übernehmen zu können.
  • Konsequente Aufklärung der Korruptionsaffäre Aserbaidschans: Das Alijew-Regime
    hat Kaviar-Diplomatie in Deutschland und der EU betrieben. Unter der Kaviar-Diplomatie
    sind Bestechungen oder die Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse zu
    verstehen, die auf Luxusgeschenken basieren.
  • Sollte Aserbaidschan sich nicht an internationales Recht halten und die armenische
    Bevölkerung im Land ihrer Rechte berauben oder sie vertreiben, muss Deutschland
    gemeinsam mit den anderen EU-Mitgliedsstaaten Wirtschaftssanktionen gegen
    Aserbaidschan
    verhängen. Vermögen von Mitgliedern des Alijew-Clans im Ausland
    sollten eingefroren werden.
  • Die Grüne Jugend Frankfurt stellt diesen Antrag auf dem Bundekongress des
    Bundesverbandes der Grünen Jugend mit dem Auftrag einen entsprechenden Antrag für die
    Bundesdelegiertenkonferenz des Bündnis90/Die Grünen am 23. November 2023 zu stellen.
    Ferner vertreten wir diese Forderungen als Verband, insbesondere in der Öffentlichkeit und
    machen Druck im Sinne und in Solidarität mit den Menschen in Bergkarabach.

Wichtige Themen nicht den Rechten überlassen

Außerdem möchten wir betonen, dass dieser Konflikt im Kern kein religiöser Konflikt ist.
Innenpolitisch versuchen rechte Kräfte in Deutschland, unter anderem die rechtsextreme Partei,
die AfD, die Situation im Südkaukasus für ihre politische Hetzkampagne zu
instrumentalisieren, indem sie gezielt den christlichen Hintergrund der Armenierinnen gegen den muslimischen Hintergrund der Türkinnen oder Aserbaidschaner*innen auszuspielen
versuchen. Wir treten entschieden gegen diesen Versuch der gesellschaftlichen Spaltung ein.



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